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© Stadtarchiv Mannheim
Der "Freie Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst in Mannheim"

von Inge Herold

Fritz Wichert, der Gründer des "Freien Bundes zur Einbürgerung der bildenden Kunst in Mannheim", wurde 1909 als erster Direktor an die Kunsthalle Mannheim berufen. Sein noch im gleichen Jahr entwickeltes Sammelkonzept stellte die ästhetische, entwicklungsgeschichtliche und wirtschaftliche Aufgabe des Museums in den Vordergrund: Die Kunst sollte den Menschen Genuss geben, Anregung für Künstler sein und Mannheim als Standort wirtschaftliche Vorteile sichern. Eng verbunden mit diesem Konzept waren Wicherts Vorstellungen von der Bildung des Publikums, die der beginnenden Wandlung des Museums vom Musentempel für eine privilegierte Klasse zu einer Bildungs- und Erziehungsstätte für alle Schichten der Bevölkerung Rechnung trugen.

Erste Schritte zur Verwirklichung seines Konzeptes waren im März 1911 die Eröffnung eines Graphischen Kabinetts und eines Kulturwissenschaftlichen Instituts. Bereits seit 1910 war eine Vortragsorganisation mit wissenschaftlichen Vorlesungen sowie populären und "geschmacksbildenden" Vorträgen geplant, die schließlich als "Akademie für Jedermann" realisiert wurde. Sie stellte das konstituierende Element des "Freien Bundes" dar, der am 27. April 1911 im Nibelungensaal des Rosengartens gegründet wurde. Wicherts Programm, das durch Sozialdemokratie und Gewerkschaften Unterstützung erfuhr, fand - nicht zuletzt dank seiner persönlichen Ausstrahlungskraft - großen Zuspruch. Die Mitgliederzahl stieg von anfangs 1000 auf 7000 im Jahr 1914. Zur Gründung erschien eine Werbeschrift, die den "Freien Bund" und seine Leitsätze vorstellte:

"Um die bildende Kunst dem Verständnis möglichst aller Schichten der Mannheimer Bevölkerung zu erschließen, um ihr Wesen und ihre Früchte wieder in innigeren Zusammenhang mit dem Leben jedes Einzelnen zu bringen, sind im Freien Bunde zur Einbürgerung der bildenden Kunst in Mannheim vorläufig folgende Unternehmungen ins Leben getreten:

1. Eine "Akademie für Jedermann", d.h. die Veranstaltung von regelmäßigen Lichtbilderabenden mit Vortrag oder Vorlesung über Kunst und verwandte Gebiete.

2. Einrichtung einer ständigen, jedermann zugänglichen Rat- und Auskunftsstelle in der Kunsthalle für Kunstpflege des täglichen Lebens, insbesondere für künstlerische Wohnungspflege.

3. Planmäßige Kunstpropaganda vielseitigster Art durch Ausstellungen, Verbreitung geeigneter Schriften und Merkblätter, Veröffentlichungen der Tagespresse, zielbewußtes Zusammenwirken aller zur Förderung der bildenden Kunst und des Kunsthandwerks in Mannheim bereits vorhandenen oder noch entstehenden Organisationen u.a.m. Soweit die Mittel des Bundes es gestatten, ist außerdem noch geplant:

4. Die Erwerbung geeigneter Kunstwerke für die Kunsthalle, das kunstwissenschaftliche Institut und die Akademie, sowie insbesondere zur Verteilung als Haus- und Wandschmuck an die Teilnehmer des Bundes zu billigen Preisen."

Die "Lebenserhöhung" des Einzelnen und die "Förderung und schöpferische Belebung eines allgemeinen Menschheitsgutes", der bildenden Kunst, waren vorrangige Ziele dieser als Volksbewegung verstandenen Institution. Neben Alfred Lichtwark, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, wurde Wichert mit der Gründung des "Freien Bundes" und den damit zusammenhängenden Aktivitäten zu einem Vorreiter der Museumsreform, die die inhaltliche Umorientierung des Gelehrten- zum Volksmuseum vorantrieb. Für seine wegweisende Arbeit wurde schon bald der Begriff "Mannheimer Bewegung" geprägt.

Neben den Vortragsreihen, die bald so großen Zuspruch verzeichnen konnten, dass man die Mitglieder nach Anfangsbuchstaben des Namens in zwei Besuchergruppen aufteilte, waren die didaktischen Ausstellungen von besonderer Breitenwirkung. Im Vordergrund standen hier die Kunsterziehung und Geschmacksbildung durch Formstudium an kunstgewerblichen Exponaten. Mit wenigen Ausnahmen waren die Ausstellungen nicht der freien Kunst, sondern Themen wie Typographie, Buchkunst, Keramik, Architektur und Wohnraumgestaltung gewidmet.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges übernahm Gustav F. Hartlaub, der bereits 1912 als Sprecher des "Freien Bundes" nach Mannheim gekommen war, die stellvertretende Leitung der Kunsthalle und des "Freien Bundes" für den abwesenden Wichert. Größere Veranstaltungen fanden bis auf die anfangs organisierten "Kriegsunterhaltungsabende" und bis auf drei Ausstellungen (z.B. "Kriegergrabmal und Kriegerdenkmal", 1916) nicht statt.

Nach dem Krieg stand die "Mannheimer Bewegung" als Element einer sozialen Kulturpolitik abermals im Zentrum des öffentlichen Interesses. Unter dem Titel "Selbstgestaltung - Selbsterhaltung. Auch die Kunst eine Retterin" hielt Wichert im Herbst 1919 einen Vortrag anlässlich des Wiederbeginns der Arbeit des "Freien Bundes", in dem er seine Konzeption vorstellte. Im Vordergrund stand nun die Verknüpfung von ethischen und ästhetischen Fragen. Die kulturelle und gesellschaftliche Krise der Nachkriegszeit bildete fast ausschließlich das Leitmotiv der didaktischen Ausstellungen nach 1918, die als Gegenbilder zum herrschenden Chaos wirken sollten.

1923 wurde Wichert zum Direktor der Städelschen Kunstschule Frankfurt berufen, Hartlaub wurde sein Nachfolger in Mannheim. Zu diesem Zeitpunkt waren die Besucherzahlen der Vorträge und die Mitgliederstatistik bereits rückläufig. "In einer Zeit äußerster Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit", so Hartlaub, "...wäre ein Programm der Massenerziehung durch Kunst von vornherein aussichtslos." Er richtete sein Augenmerk zunehmend auf die "Kommunalisierung der Kunstfürsorge". Aus dem zahlenmäßig stark reduzierten "Freien Bund" wurde so zum Ende der 1920er Jahre eine Gemeinschaft von an der Kunsthalle und deren Aktivitäten Interessierten, eine "Gemeinschaft von Freunden der Kunsthalle". Vor dem Hintergrund der politischen und sozialen Gegensätze am Ende der 1920er Jahre konstatierte Hartlaub den Verlust einer moralischen Massenbasis und damit den Bedeutungsverlust eines Erziehungsprogramms zur und durch Kunst im Sinne Wicherts.

Mit der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten und der Entlassung Hartlaubs 1933 verlor der "Freie Bund" schließlich vollkommen seine ursprüngliche Bedeutung und Funktion. Nach dem Krieg wurde unter dem Direktorat von Walter Passarge lediglich die winterliche Vortragsreihe wieder aufgenommen. Der alte Name wurde zudem durch "Freier Bund zur Pflege der bildenden Kunst" ersetzt, man verstand darunter nun nur noch die Vortragstätigkeit. Mit der Gründung des Förderkreises für die Kunsthalle Mannheim e.V. 1977 verschwand der Begriff dann völlig.



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